Aktuelles
Angst vor Menschen: Soziale Phobien
Angst vor Menschen: Soziale
Phobien
Presseinformation zur 62. Jahrestagung der
DGPT
Forschungsnetz SOPHO-NET: Erste Ergebnisse zum Vergleich
von psychodynamischer Therapie und Verhaltenstherapie bei
sozialer Phobie
Halle, den 23. September 2011 – Schweißnasse
Hände, Herzklopfen, nervöses Zucken im Gesicht
und in den Gliedmaßen, das sind nur einige der
möglichen Symptome, wenn Menschen eine soziale Phobie
entwickelt haben. Sie haben Angst vor Menschen oder vor
belastenden Situationen in der Öffentlichkeit. Treffen
kann es jeden, egal ob Manager, Hausfrau oder Rentner. Im
Laufe ihres Lebens erkranken sieben Prozent der
Allgemeinbevölkerung in Deutschland an einer solchen
Angststörung, die mit zu den häufigsten
psychischen Störungen überhaupt gehört. Die
Patienten haben oft Ängste, dass sie sich in
öffentlichen Situationen blamieren, nicht kompetent
genug zu sein oder nicht dazu zu gehören. Das Social
Phobia Psychotherapy Research Network (SOPHO-NET) ist ein
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
geförderter Verbund zur Psychotherapie der sozialen
Phobie. Es umfasst verschiedene Projekte, die Ergebnisse
zur Psychotherapie, Genetik, Bildgebung und
Gesundheitsökonomie miteinander in Verbindung setzen.
»Die zentrale Studie des SOPHO-NET ist eine
multizentrische randomisierte kontrollierte Studie, in der
die Wirksamkeit psychodynamischer Therapie und kognitiver
Verhaltenstherapie (CBT) bei sozialer Phobie untersucht
wird«, sagt Prof. Dr. Falk Leichsenring, Klinik
für Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum Gießen, anlässlich der
62. Jahrestagung der DGPT in Halle/Saale. Erste Ergebnisse
zeigten nun, dass beide Therapien wirksam seien. Initial
war die CBT der psychodynamischen Therapie überlegen,
allerdings waren die quantitativen Unterschiede nicht
groß (10% mehr gebesserte Patienten in der
Verhaltenstherapie). Für die psychodynamische Therapie
und die psychodynamischen Therapeuten ergab sich ein
Lerneffekt: Die Unterschiede zugunsten der CBT nahmen im
Lauf der Studie ab. Dieses Ergebnis zeigt, dass
psychodynamische Therapie, wenn sie manual-geleitet
durchgeführt wird und die Therapeuten eine
ausreichende Erfahrung mit dem manual-geleiteteten Vorgehen
gesammelt haben, genauso wirksam bei der Behandlung der
sozialen Phobie sein kann wie die CBT. Ein Therapiemanual
gibt an, welche psychotherapeutischen Vorgehensweisen in
einer Behandlung eingesetzt werden, um bestimmte Ziele zu
erreichen. Dadurch werden die Ergebnisse
replizierbar.
Von insgesamt 1.450 Patienten, die gescreened wurden, waren
494 für die Studie geeignet und wurden zufällig
zu CBT, psychodynamischer Therapie oder einer Warteliste
zugewiesen. Die Drop-out-Raten betrugen 25 Prozent für
die CBT, 28 Prozent für die psychodynamische Therapie
und 27 Prozent für die Warteliste. In der
CBT-Bedingung wurden initial 209 Patienten behandelt, in
der psychodynamischen Bedingung 206, zur
Wartelisten-Bedingung wurden 79 Patienten zugewiesen.
Für den Vergleich zwischen CBT und psychodynamischer
Therapie wurden die Patienten der Wartelisten-Bedingung,
die weiterhin an einer Therapie interessiert waren, nach
der Wartezeit zufällig den beiden Therapiebedingungen
zugewiesen, so das die CBT-Bedingung schließlich 242
Patienten umfasste und die psychodynamische
Therapiebedingung 229 Patienten. Eingeschlossen wurden
Patienten mit der Diagnose einer sozialen Phobie; komorbide
Störungen waren zulässig, die soziale Phobie
musste jedoch die schwerste Störung sein.
Ausgeschlossen wurden Patienten mit Psychosen,
Substanzmissbrauch, Cluster A und B
Persönlichkeitsstörungen (hirnorganische
Störungen oder gleichzeitige Psychotherapie oder
Psychopharmakotherapie) sowie schwere körperliche
Erkrankungen, die mit einer Psychotherapie nicht zu
vereinbaren sind. Die Behandlungen erfolgten anhand von
Behandlungsmanualen. Die CBT basierte auf dem Ansatz von
Clark und Wells und wurde anhand eines Manuals von
Stangier, Clark und Ehlers durchgeführt. Die
psychodynamische Therapie basierte auf dem Konzept von
Lester Luborskys Supportive-Expressive Therapy. Diese wurde
für die SOPHO-NET Studie spezifisch auf die Behandlung
der sozialen Phobie zugeschnitten. Das Manual stammt von
Leichsenring, Beutel und Leibing (2008). In beiden
Therapiebedingungen wurden bis zu 30 Sitzungen
durchgeführt.
Fünf Studienzentren nehmen an der Untersuchung teil:
die Universitäten Bochum, Dresden,
Göttingen/Giessen, Jena und Mainz. Erhebungen zu
Therapieeffekten erfolgten unmittelbar nach Therapieende
sowie sechs, zwölf und 24 Monate nach Therapieende.
Das Datenmanagement und Monitoring der Studie nimmt das
Koordinierungszentrum für Klinische Studien (KKS) in
Heidelberg vor.
Hypothesen
In der Untersuchung wurden drei Hypothesen
geprüft:
(1) CBT und psychodynamische Therapie sind der
Wartelisten-Kontrollbedingungen überlegen.
(2) CBT ist der psychodynamischen Therapie überlegen,
die Unterschiede entsprechen jedoch kleinen
Effektgrößen.
(3) Für die psychodynamische Therapie gibt es einen
Lerneffekt. Im Laufe der Studie nehmen die Unterschiede
zwischen CBT und psychodynamischer Therapie ab –
während in der CBT-Bedingung das Konzept von Clark und
Wells verwendet wird, das in verschiedenen Untersuchungen
geprüft und sich als wirksam erwiesen hat, wird in der
psychodynamischen Bedingung ein neues Manual eingesetzt und
geprüft, das bisher noch nicht untersucht worden
ist.
Darüber hinaus sind die Therapeuten der kognitiven
Verhaltenstherapie in der Regel vertraut mit dem
manualisierten Vorgehen. Für die psychodynamischen
Therapeuten gilt dies in der Regel nicht. Letztere
dürften daher etwas Zeit brauchen, um sich mit dem
Manual und dem manualgeleiteten Vorgehen vertraut zu
machen. Aus diesem Grund wird erwartet, dass die
Unterschiede zwischen den beiden Therapiebedingungen im
Laufe der Therapie abnehmen, wenn die psychodynamischen
Therapeuten vertrauter mit dem therapeutischen Vorgehen
werden. Um diese Hypothese zu prüfen, wird eine
Auswertung getrennt für die ersten 50 Prozent und
zweiten 50 Prozent der durchgeführten Behandlungen
vorgenommen. Es wird erwartet, dass in der zweiten
Hälfte der durchgeführten Behandlungen die
zugunsten der CBT bestehenden Unterschiede abnehmen.
Ergebnisse
Beide Therapien waren der Wartelisten-Bedingungen
signifikant überlegen (Hypothese 1). Im Vergleich der
beiden Therapie-Bedingungen erwies sich die CBT der
psychodynamischen Therapie als signifikant überlegen,
die quantitativen Unterschiede waren jedoch gering. Dies
gilt sowohl für die primären als auch für
die sekundären Outcome-Maße. Auch für die
Hypothese 3, die von einem Lerneffekt für die
psychodynamischen Therapeuten ausging, bestätigte sie
sich: Während in den ersten 50 Prozent der
Behandlungen CBT wieder in allen Maßen der
psychodynamischen Therapie überlegen war, reduzierten
sich die Unterschiede in der zweiten Hälfte der
durchgeführten Behandlungen. In den primären
Outcome-Maßen (Raten für Response und Remission
sowie bezüglich der Depressivität) bestanden dann
keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen den Effekten
der CBT und der psychodynamischen Therapie. Nur in zwei
sekundären Outcome-Maßen (SPAI und IIP) war die
CBT der psychodynamischen Therapie weiterhin
überlegen.
Trotz dieser Befunde, die die Wirksamkeit beider
Behandlungsmethoden belegen, gibt es einen erhebliche Zahl
von Patienten, bei denen die Symptomatik durch die
angewendeten Methoden nicht wesentlich gebessert werden
konnte, weder durch die kognitive Verhaltenstherapie noch
durch die psychodynamische Therapie
(»Non-Responder«). Wie auch diesen Patienten zu
helfen ist, ist eine Aufgabe der zukünftigen
Forschung. Möglicherweise reichen die angewendeten
Kurzzeittherapien mit ihrem Umfang von bis zu 30 Sitzungen
für diese Patienten nicht aus. Hierfür sprechen
auch andere Forschungsergebnisse, die den Zusammenhang
zwischen Sitzungszahl und Therapieergebnis untersucht haben
(sogenannte »Dosis-Wirkungsforschung«). Dieses
Ergebnis der SOPHO-NET Studie spricht im übrigen gegen
die Tendenzen, Psychotherapien immer weiter zu
verkürzen.
Hintergrundinformation
Der Forschungsverbund soziale Phobie (SOPHO-NET) ist ein
Zusammenschluss verschiedener Forschungseinrichtungen mit
dem Ziel, das Verständnis und die Behandlung der
sozialen Phobie zu verbessern. Der Verbund ist in hohem
Maße interdisziplinär: Er schließt
verschiedene Fachdisziplinen (z.B. Psychosomatik, klinische
Psychologie und Psychiatrie), ebenso ein wie verschiedene
Forschungsperspektiven (z.B. kognitiv-behavioral,
psychodynamisch, neurobiologisch,
gesundheitsökonomisch). Der Verbund führt ein
multi-zentrisches Forschungsprojekt zur sozialen Phobie
durch. Zentral ist dabei eine Studie zur
psychotherapeutischen Behandlung der sozialen Phobie. Diese
wird durch Projekte zur Indikations- und Prognoseforschung
sowie zur neurobiologischen Forschung ergänzt.
Weitere Informationen auch unter www.sopho-net.de
Prof. Dr. Falk Leichsenring
Als Publikationen der DGPT erschienen im
Psychosozial-Verlag u.a.: