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Andreas Jacke über »Spectre«
Psychosozial-Autor und Filmwissenschaftler Andreas Jacke hat seine Eindrücke zum neuen James-Bond-Film Spectre in einem Text festgehalten, den Sie hier lesen können:
SPECTRE (2015)
Der Auftakt des vierundzwanzigsten James-Bond-Films ist ein
traditioneller, an den klassischen Vorgängern orientierter. Nicht
zufällig beginnt der Film mit einer Totenfeier in Mexiko, dem Tag der Toten, einem Gedenktag an die Verstorbenen. Denn der Vorgänger Skyfall endet mit dem
Tod von M, auf den diese Szenerie zweifelsohne anspielt. Vor ihrem Tod hatte M
eine Videoaufzeichnung hinterlassen, in der sie 007 instruiert, einen Mann ausfindig
zu machen und umzubringen. Bond vollzieht diesen Auftrag in Mexiko im
Alleingang. Die makabere Stimmung und die für alle Bond-Filme typische Kombination
von Lust und Tod ist ein konkretes Zitat der Totenfeiern in New Orleans in Leben und Sterben lassen. Spectre hat eine Gesamtlaufzeit von 148
Minuten und folgt größtenteils ebensolchen längst gewohnten Schemata, die lediglich
auf einen modernen Stand gebracht wurden. Das Symbol des Films, das Ikon von Spectre, ist ein gigantischer Tintenfisch, wie in der Titelsequenz deutlich
wird. Dieses Tier kennt man aus Octopussy,
aber auch aus Ian Flemings Dr. No.
Das Böse ist bei Bond seit jeher verbunden mit bösartigen Tieren (stellvertretend
für das Andere, wie Derrida sagen würde), seien es nun Tintenfische, Spinnen
oder Schlangen. Die Tierwelt ist dem Zwangsneurotiker ein Grauen, weil er, der
überzivilisiert ist, mit ihr den Unrat und eine unzivilisierte Vorkultur
verbindet.
Spectre hat zudem
eine spirituelle Ebene, auf die die Darstellung des mexikanischen Totenkults
wie auch des katholischen Petersdoms verweist. Erneut lässt Sam Mendes (ein Bewunderer
des Films Vertigo) es zu, dass all
die Versatzstücke aus früheren Filmen zuweilen wie melancholische Elemente
wirken. So hat das Bond-Girl jetzt einen sehr interessanten Namen, Madeleine Swann, ihr Charakter geht dennoch
nicht über die typische Rolle eines Bond-Girls hinaus. Sie trägt zwar keinen
sexistischen Namen, wie bei Fleming, ist aber dennoch ein Anhängsel Bonds und
erfüllt die Rolle der Frau, die er am Ende retten kann und muss. Der Name Madeleine Swann ist eine doppelte
Anspielung auf Swans Welt von Marcel
Proust und somit selbst ein Symbol der Erinnerung an Vergangenes.
Dennoch zeigt die Wahl dieses Namens und das gesamte
Ambiente das eher gehobene kulturelle Niveau des Films. Die exklusive Atmosphäre wird durch die vielen, häufig aus der
Luft aufgenommenen, Panoramaeinstellungen unterstützt. Sie vermitteln das
Gefühl von Weite und Größe. Bond besucht auch in diesem Film wieder zahlreiche luxuriöse
Orte und ist ständig auf Reisen, wie das Publikum es von ihm gewohnt ist. Kleine
Gags unterbrechen die wie immer sehr rasante Action. Beispielsweise stürzt Bond
nach der Explosion eines Hauses zu Beginn des Films in die Tiefe, aber landet schließlich
auf einem Sofa. In einer anderen Szene telefoniert er während einer Verfolgungsjagd
im Auto und hat Schwierigkeiten, die technischen Raffinessen seines Autos zu bedienen.
Q gibt ihm zudem den DB Aston Martin nicht freiwillig, sondern zeigt ihm
lediglich den Wagen und erklärt ihm, dieser sei für 009 bestimmt. Bond muss ihn
sich nehmen.
Als er bei einem Treffen des Gangstersyndikats nach seinem
Namen gefragt wird, erklärt Bond, er heiße Mickey
Mouse. Dies wird später geschickt wiederaufgenommen, wenn er eine kleine
Maus fragt, für wen sie denn arbeite, bevor sie ihn zu einem Versteck führt.
Solche Verknüpfungen sind zwar clever, leider aber auch zu assoziativ und
schnell durchschaubar. Zudem wird in Spectre
das Schema Erotik – Gewalt in nicht mehr zeitgemäßer Form in Szene gesetzt. Besonders
deutlich wird dies, als Bond im Zug mit dem Bond-Girl feiern möchte, das
Abendessen aber brutal und plötzlich von einem Killer unterbrochen wird. Auf
die Erotik folgt das männliche Duell, wie man es schon so oft gesehen hat. Nahezu
die gleiche Szene gibt es in Liebesgrüße
aus Moskau und Der Spion, der mich
liebte.
In der vorangegangenen Szene fragt das Bond-Girl Dr. Swann
007, was er geworden wäre, wenn nicht ein einsamer Killer und Geheimagent. Er antwortet,
dass er die Frage nicht an sich heranlassen werde. Hier, wo es persönlicher wird,
werden seine Beziehungsprobleme besonders deutlich.
Im Gegensatz zu den klassischen Bond-Filmen erweist der
Schurke sich in diesem Film nicht als Vaterfigur, sondern ist Bonds Bruder. Nach
dem Tod von Bonds Eltern hatte Oberhausers Vater die Fürsorge für Bond
übernommen, was seinem Sohn missfiel. Oberhauser (gespielt von Christoph Waltz)
tötete seinen Vater aus Neid, weil dieser sich zu sehr um das »Kuckucksei« im
Nest gekümmert hatte. Den Guten (Bond) und den bösen Bruder (Schurke) kennen
wir bereits seit den Filmen mit Timothy Dalton. Außerdem ist der Schauspieler
Waltz bekannt für seine prägnanten Darstellungen lustvoller Sadisten, die er
hier erneut sehr gekonnt darbietet. Man ist also auch in diesem Fall kein
Risiko eingegangen.
Spectre geht insgesamt
auf Nummer sicher. Auch das Plotelement, dass der Gangster sich im Zentrum des
Geheimdienstes installiert hat, ist schon aus Skyfall bekannt und stammt wohl aus Christopher Nolans Batman-Filmen, die den aktuellen
Actionfilm sehr geprägt haben. Neu ist für die Bond-Reihe, dass hier nun die
Actionszenen auf mehreren Ebenen gleichzeitig ablaufen, sodass es häufiger
nicht nur um 007 geht, sondern auch um seinen Chef M, Q oder Moneypenny. Das
funktioniert anfangs ganz gut, wird im Finale, das dadurch übertrieben episch
wirkt, aber zuviel.
Spectre ist zwar
ein würdiger Nachfolger von Skyfall, kommt
an seinen ungewöhnlichen Vorgänger aber keineswegs heran. Zu sehr hat man das
Risiko gescheut, riskante Ideen weiterzudenken, und ist stattdessen auf den
klassischen Kurs zurückgeschnellt. Das ist zwar etwas schade, der Film ist aber
dennoch sehenswert, weil er sehr detailliert, professionell und stilvoll ist.
Andreas Jacke
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