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Polanskis »Intrige« läuft an

Nicht schuldig!
Über Roman Polanskis neuen Film J’accuse (2019)
Von Andreas Jacke

Parade, marschieren, die strikte Ordnung des französischen Militärs, erinnert in J’accuse Deutscher Verleihtitel: Intrige) in vielen Punkten an Paths of Glory (1957), einem frühen Film von Stanley Kubrick, der ebenfalls ein jüdischer Filmemacher war, was oft übersehen wurde. Aber Kubricks Film zeigte den großen Ersten Weltkrieg, den überdimensionalen Männerkampf, Polanski hingegen geht es um die Degradierung eines einzelnen, unschuldigen Offiziers aus der französischen Armee. Das berühmt gewordene Komplott gegen ihn basiert auf antisemitischen Hintergründen.

Die Affäre um Alfred Dreyfus, brachte seinerzeit nicht nur Émile Zola auf die Barrikaden (er schrieb den Zeitungsartikel namens J’accuse- ich klage an, der den Film den Namen gab und aus dem lange Stellen vorgelesen werden), sondern diese Affäre durchgeistert auch die Recherchevon Marcel Proust, der sich ebenfalls persönlich für Offizier Dreyfus einsetzte. Proust hatte in seinem früheren Roman Jean Santeuil(1886-1900) bereits dem Helden in Polanskis Film, dem Offizier Picquart eine Denkmal gesetzt und dessen sokratische Gelassenheit beschrieben. Picquart wurde bei ihm zum Vorbild des jungen Jean Santeuil, weil er mit seiner kühlen Klarheit und seinem schlichten Heroismus den sokratischen Geist darstellte, der in der bedingungslosen Hingabe an die Wahrheitbestand. Es ist die Wahrheitsliebe, die ethische Redlichkeit, die Picquart auch im Film über seine eigenen antijüdischen Tendenzen stellt, die ihn zu einem ehrenhaften Mann werden lässt. Auffallend ist, dass es in diesem Männerfilm nur eine einzige Frau in der Hauptrolle gibt, und die wird nun gespielt von Emmanuelle Seigner, der Ehefrau des Regisseurs. Sie ist die heimliche Geliebte von Picquart, den sie eigentlich hätte heiraten sollen.

Der Film zeigt sehr deutlich mit welcher Härte der stets im Hintergrund gehaltene Antisemitismus dazu beiträgt, sogar einen bereits aufgedeckten Justizirrtum auf eine intrigante Weise zu verheimlichen und einen Soldaten lieber auf den Teufelsinseln verrotten zu lassen, als den Fehler einzugestehen und den einzige jüdischeOffizier, den es in der französischen Armee seinerzeit gab, wieder in sie aufzunehmen. Das spiegelt die neuen rassistischen Tendenzen in Europa wieder, den Rechtstrend, dem auch Deutschland ausgesetzt ist. Die Dreyfus-Affäre, über die in der Rechercheständig debattiert wird, hat also durchaus aktuelle Bezüge, wenn die rassischen Statements zunehmen und einem demokratischen Staat die Hände gebunden werden sollen, jene Rechte durchzusetzen, für die er letztendlich steht.

Zugleich ist das Realität aber auch komplexer. Beispielsweise waren die Dreyfus-Anhänger antimilitaristisch, was eine Richtung vorgibt, die so im Film nicht auftaucht. Die komische Komponente, die es in Polanskis Filmen oft gab, fehlt hier außerdem. J’accuseist ein seriöser Film über das Militär, mit all seinen Regeln, seiner Disziplin und dem festgelegten Verhaltenscodexen, und anders als bei Freuds Rattenmann, ist die Absurdität, die in diesem Metier liegt, hier fast zu Verschwinden gebracht worden.

Die Figur von Picquart verknüpft sich für einen Moment mit der Figur von Władysław Szpilman aus The Pianist(2002, wenn er in seiner Wohnung ans Klavier geht. Und einmal ist, bei einer Musikaufführung auch der Regisseur selbst im Bild. Mit beiden Szenen signiert Polanski sein Werk. Die gesamte Geschichte der Dreyfus-Affäre ist, wie immer bei ihm sehr exakt, pointiert, elegant inszeniert worden. Die feingliedrige Bürokratie, die Ausstattung, das romantische Licht und die klare, oftmals karge Inszenierung, die den für ihn typischen Charakter des Kammerspiels haben, sind stimmig.

Der zugrundliegen Roman von Robert Harris, mit dem Polanski schon bei The Ghostwriter(2010) zusammengearbeitet hatte, bot sicherlich eine starke Grundlage, für das gemeinsam verfasste Drehbuch. Am Anfang steht die lange Szene, in der Dreyfus vor dem Heer entehrt wird, man reißt ihm die Knöpfe vom Mantel, die Orden vom Leib. Er ist die Schande der Armee, seine Familie wird unter diesem Ruf zu leiden haben. Das bleibt im Gedächtnis. Es geht dann weniger um ein Delikt, als vielmehr um die Bedeutung, die eine Falschanklage hat. Picquart muss herausfinden, was wirklich passiert ist. Er agiert dabei lange Zeit ähnlich wie E. A. Poes Ur-Detektiv Dupin, der in Paris auf der Suche nach dem Entwendeten Briefwar. Schließlich aber wird aus dem anfänglichem Detektivfilm immer mehr ein Gerichtsfilm, indem es nun vor der Justiz durchzusetzen gilt, was vorher herausgefunden wurde: Alfred Dreyfus ist Unschuldig. Ein guter Film, der zugleich verfolgtwird von einer grausamen Debatte.

Denn der Zuschauer wird das Gefühl nicht los, dass Polanski, hier wie in seinen früheren Filmen auch, immer zugleich autobiographische Themen bearbeitet. Spätestens wenn Dreyfus im Gefängnis die Fußfesseln angelegt werden, muss man unweigerlich an die elektronische Fußfessel denken, die Polanski selbst in Gstaad bekam, als er in die USA ausgewiesen werden sollte. Wie immer hat der Regisseur sämtliche autobiographischen Bezüge zwischen ihm und seinem Werk dementiert, was wohl auch ein kluge Strategie ist, sich allzu persönlicher Fragen in Bezug auf seine Kunstwerk zu entledigen. Aber es ist doch offenkundig, dass wenn es eine Filmfigur gäbe, die man mit dem Regisseur partiell identifizieren dürfte, es wohl dieser zitternde Offizier Dreyfus wäre, der in Gefangenschaft sagt, dass er sich längst umgebracht hätte, aber es ihm um die Ehre seiner Familie ginge und er deshalb weiterleben müsse, solange, bis die Wahrheit ans Licht träte. Dieses Motiv verwendet Polanski selbst für sich selbst in einem Interview, indem er darauf hinwies, wie sehr seine Familie unter dem Fehler, den er vor nunmehr einem halben Jahrhundert begangen habe, leiden müsste.

Andernorts erklärte er, dass die Empörungsspirale, die die #Me Too Debatte ausgelöst habe, ihn zur Zielscheibe hysterischer Frauen habe werden lassen, die er vergewaltigt haben soll, was natürlich nicht stimmt. Diese Unterstellung als solche ist unberechtigt, hat aber einen realen Auslöser. Denn seit den 70er Jahren befindet sich der Regisseur, wie in Kafkas berühmten Roman in einem Prozess und er beteuert seitdem immer wieder seine Schuld, um dabei zugleich allerdings darauf hinzuweisen, dass die sexuelle Freiheit, die man sich früher genommen habe, nun restriktiv verfolgt werden würde.

Sein Protest und das immerwährende insistieren auf dieser sexuellen Freiheit ist aber ziemlich sinnlos, Roman Polanski hatte schließlich Analverkehr mit einem 13jährigen Fotomodel, dem er vorher Drogen gab. Er hat sich zwar immer wieder zu schuldig bekannt, aber zugleich auch durch Andeutungen, wie, dass was da passiert ist, geht nur mich und das betreffende Mädchen etwas an, auch darauf hingedeutet, dass es sich wohl kaum um ein ernsthaftes Delikt handele, sondern vielmehr einem Einvernehmen beider Seiten, die Rede sein müsse. Natürlich hat Polanski das Model nicht vergewaltigt und derlei Anschuldigungen sind auch nicht seriös. Aber zugleich hat er seinen Faible für jüngeren Frauen auch immer verteidigt. Ob das Mädchen, das schließlich unter Drogen stand, nun wirklich damit einverstanden war oder nicht, ist angesichts des Altersunterschieds und der Form der Sexualität nicht das einzig ausschlaggebende Moment. Polanski hätte aufgrund seines Alters allemal ihr Vater sein können und hatte die gesamte Verantwortung. Er vertrat damals aber augenscheinlich die Ansicht, dass das dem Mädchen nicht schaden könnte. Und er vertritt diese Ansicht heute immer noch. Das ist der Skandal und der Grund weshalb sich so viele Leute darüber aufregen. Mit Nastassja Kinski, die fünfzehn Jahre alt war, hatte er ebenfalls geschlafen und erotische Fotos für ein Magazin geschossen. Was fehlt sind zwei Einsichten: 1. Das der Sexualverkehr mit Minderjährigen strafbar ist, weil er deren Entwicklung erheblich stört. 2. Das Filmregisseur über Macht verfügt, die Models und Schauspielerinnen nutzen wollen und deshalb mit ihm schlafen. Aus den beiden Gründen würde ein verantwortungsvoller Regisseur eben genau solchen sexuellen Kontakten aus dem Weg gehen.

Polanskis Fall wird damit zu einem Paradefall (hinter dem sich etliche andere verbergen) und daher nicht umsonst in der gegenwärtigen Debatte sehr ernst genommen. Das das, weil man hier endlich mal eine Täter hat, der nichtbestraft worden ist, wiederum mit überzogenen Polemiken ausgetragen wird, ist nur verständlich. Es ist heute nicht mehr möglich, wie noch in den 70er Jahren mit Dreizehnjährigen legale Oben ohne Fotos zu machen, ohne dass die Öffentlichkeit sich darüber brüskiert. Und das ist ein erheblicher Fortschritt. Polanskis selbst hingegen sieht in der jetzigen Gesellschaft eher Rückschritte und beißt sich fest am Gestus der 68er Revolte.

Man könnte es auch etwas anders auflösen: Zwei verschiedene Diskurse überborden sich hier: Zum einen das Sexualitätsdispositiv, das Foucault so präzise beschrieben hat. Die Organisation der Geständnisse des Fleisches, gegen die Polanski revoltiert und die er, aus der 68er Erfahrung heraus, sprengen möchte, kurzum, die Freiheit der Sexualität, jenseits des Katholizismus zu leben. In dem Punkt hat der Regisseur sicherlich nicht Unrecht und da werden ihm auch etliche Männer und auch Frauen zustimmen. Aber die andere Seite ist eine übergreifende, männliche Sexualität, in der die Frauen zu Objekten degradiert werden. Die Analyse dieses Sexismus, die wohl zuerst Simone de Beauvoir in ihrem Buch Das andere Geschlecht(1949) geleistet hat, ist heute ein Gemeinplatz, aber die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind müssen immer noch bearbeitetet werden. Es ist aber im Grunde genau dieser rücksichtslose Sexismus, dem man dem Regisseur vorwirft.

Ein Sexismus, indem die Frau als Objekt ausgestellt wird, war zugleich ein Teil seines Berufs, denn Filmemacher sind Voyeure, die schöne Frauen auf die Leinwand bringen. Die Gesellschaft ist aber unterdessen dort angekommen, dass diese Perspektive, die auch die dominante Perspektive des klassischen Kinos war, bis mindestens in die 90er Jahre, heute fragwürdig geworden ist. Vor allem wird sie kritisiert, wenn sie nicht bloß die Obsession in einem Film, sondern zugleich die persönliche Obsession eines Filmemachers ist. Kurzum, der fetischisierende Sexismus, wie ihn Hitchcock noch ohne weiteres präsentieren konnte, gerät immer mehr ins Wanken. Der Einspruch kommt von anderen, weiblichen Seite. Es geht auch im Fall Polanski nicht nur darum, dass sein Verhalten dem Mädchen sehr geschadet hat, sondern das seine Haltung, die viele Männer noch viel stärker vertreten, nicht mehr akzeptable ist.  

So ungefähr verlaufen die Linien, die aber im Grunde noch komplexer sind. Denn was Polanski zu Recht vorgeworfen wird, ist seine Vogel-Strauß-Mentalitätin Bezug auf die Dimension seiner Schuld. Und es geht dabei gar nicht so sehr um ihm selbst, sondern um einen Diskurs, indem derartige Vergehen immer noch als persönliche Freiheit betrachtet werden. Sicherlich bekennt er sich schuldig, aber im selben Atemzug erklärt er eben auch, dass die Welt seit Aids sexuell zurückhaltender geworden wäre und dass die #Me Too Debatte hysterischer Unsinn sei, weil er darin in einem übertriebenen Ausmaße angegriffen wird. Er übersieht aber, dass er hier auch stellvertretend angegriffen wird. Auf der einen Seite insistiert er immer wieder auf einer liberaleren Sexualmoral und erklärt auch im Detail, wie unfair das Verfahren gegen ihn in den USA gewesen sei, auf der anderen Seite bekennt er sich schuldig, wenn es darum geht, ob sein Verhalten gegenüber dem Fotomodel richtig gewesen sei. Diese doppelbödige Argumentation, wo einerseits schuldig, andererseits aber eben doch auch das Opfer der amerikanische Justiz ist, lässt das Delikt zu sehr in der Schwebe. Und es kann als ausgemacht gelten, dass Polanski mit seinem neuen Film erneut die gut verpackte Botschaft sendet, dass er eigentlich unschuldig ist. Das macht den Film am Ende nicht schlechter, produziert aber einen seltsamen Beigeschmack, der den ZuschauerInnen zu schaffen machen muss.

Er betont die Hetze gegen ihn, die Hexenverfolgungen, die nicht aufhören will. Das hängt natürlich damit zusammen, dass sein Prozess in den USA niemals zu Ende geführt worden ist. Er ist also tatsächlich ein schwebendes Verfahren, das nie mehr abgeschlossen werden wird. Und dieser Sonderstatus, mag er so alt sein wie er ist, provoziert die Gemüter.

Allerdings weiß ich nicht warum seine vielen Filme über Frauen nicht mehr in die Diskussion miteinbezogen werden. Hier zeigt er tatsächlich eine übermäßig Empathie, die die Propaganda, die gegen ihm gemacht wird, ganz erheblich entschärfen würde. Er hat mit Der Tod und das Mädchen(1994) beispielsweise eine sehr wichtigen und überzeugenden Film über die Folter und Vergewaltigung einer Frau gedreht. Er hat sehr oft gezeigt, was es bedeutet, durch gewaltsame Übergriffe traumatisiert worden zu sein. In vielen seiner Filme sind Frauen vielmehr als Sexualobjekte. Seine Filme werden lieber von Frauen gesehen als von Männern, er ist explizit ein Frauenregisseur. Traumatisierung kommt bei ihm häufig vor, um Angst geht es fast immer. Das habe ich sehr ausführlich versucht in meinem BuchRoman Polanski - Traumatische Seelenlandschaften darzustellen.

Hinzu kommt der Blick auf die gesamte Biographie, den ich dort ebenfalls ausführlich geschildert habe: Der Holocaust und die Ermordung seiner Mutter, haben seine Kindheit zu einem Schauplatz gemacht, dass von einer traumatischen Struktur durchzogen ist. Die Ermordung seiner schwangeren Ehefrau Sharon Tate war der schlimmste Einschnitt in seinem gesamten Leben. Diese schwere Wiederholung des Kindheitstraums wurde damals auf eine pathologische Weise aufgefangen, durch ein starkes erotisches Interesse an Teenagern, die er zuerst in Gstaad, in der Schweiz, bei Freunden traf. Es waren vor allem Schülerinnen, die im Internat lebten, wie er in seiner Autobiographie schrieb. Seine Traumata können seine private Obsession nicht entschuldigen, aber zumindest sehr gut erklären. Sie sollten zur Interpretation seine Werkes unbedingt herangezogen werden, denn die weitgehende Trennung zwischen Werk und Mensch, die im Moment die Öffentlichkeit betreibt, mag für Freunde der Regenbogenpresse unterhaltsam sein, für eine Filmwissenschaft, die den Fokus eben just auf diesen Zusammenhang legt, ist sie ziemlich unergiebig und auch unerfreulich. 

Hier können Sie sich ein Interview von Andreas Jacke mit dem Deutschlandfunk anhören.

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Der französisch-polnische Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Roman Polanski gilt als Meister der Inszenierung des Klaustrophobischen und der seelischen Erosion. Dass menschliche Urängste, Wahn und Verzweiflung sich als Motive durch sein filmisches Schaffen ziehen, scheint angesichts seiner jüdischen Wurzeln und der daraus resultierenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten nur logisch. Polanski selbst stellt allerdings nur seinen Oscar-prämierten Film Der Pianist (2002) als explizit autobiografisch heraus, in den er seine Kindheitserinnerungen einfließen ließ. [ mehr ]

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